R: Was ich erzählen kann, ist, dass Menschen, die in tiefem Leid verstrickt sind und die mit einem dicken Ego herumlaufen, nicht von heute auf morgen erwachen können. Sie müssen Schrittweise daran arbeiten. Und eine Erwachsenserfahrung hilft dabei, weil sie das alte Glaubens- und Weltbild erschüttern kann. Und diese Erschütterung kann dazu dienen, dass man Schritt für Schritt, Stein für Stein, sein altes Weltbild demontiert und gegen ein neues, flexibleres, weiteres Weltbild ersetzt, damit eine erneute Erfahrung des Erwachens überhaupt Platz findet und nicht sofort abgewehrt und untergebuttert wird.
Die Menschen, die aus der Fülle heraus erwachen, haben es natürlich gut, weil das, was sie an Erfahrung machen, im Moment dieser Kollision mit der Unendlichkeit, einfach angenommen werden kann. Die sind dann erschüttert und sagen sich Ja Gott, ich habe ja alles im Leben gehabt, ich bin glücklich und zufrieden, ich vermisse nichts. Wenn jetzt was dazu kommen will, was noch größer ist, wenn zu meiner Fülle, die ich sowieso schon lebe, noch eine Fülle hinzutritt, warum soll ich das ablehnen? So ganz versteh ich das zwar nicht, aber das wird schon kommen. Dann entwickeln sich diese Menschen sehr schnell durch die auftauchenden Fragen und integrieren die Themen, die da auftauchen auch sehr schnell, und am Ende erscheint alles sehr einfach und sehr fluffig gegangen zu sein. Ja, sowas gibt es. Das weiß ich von Menschen. Einer sitzt hier neben mir, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass, wenn man im Leid steckt, das Erwachen aus dem Leid nicht so einfach ist. Es geht schrittweise, Schritt für Schritt für Schritt. Ich nenne das deshalb auch die Salamitaktik, weil das Ego umgebaut werden muss. Scheibchen für Scheibchen.
L.: Die Möglichkeit Erwachenserfahrungen zu machen ist immer und in jedem JETZT da. Egal ob jemand im Leid ist oder in der Fülle. Manchmal sorgt auch gerade die Empfindung großen Leids dafür, dass sich neue Tore öffnen. Der Druck ist dann so groß, dass es scheint, als würde Gott sich aus Gnade zeigen, wenn dann solch eine Erfahrung geschieht. Und das ist möglich in allen erdenklichen Situationen. Es kann niemand vorhersagen, ob, wann und wie es passiert, das ist individuell unterschiedlich, aber es ist natürlich möglich. Denn das erwachte Sein ist nur einen Millimeter neben deiner jetzigen Erfahrung. Und es ist ratsam sich offen zu halten für diese Möglichkeit. Nur, wie geht es danach weiter, das ist hier die Frage. Was verbleibt nach der Erwachenserfahrung? Was verbleibt davon in deiner tatsächlichen Erfahrung im Alltag? Wie ist das Leben dann?
Und das ist individuell sehr unterschiedlich, je nachdem was da noch an Unwissenheiten schlummern, die auf jeden Fall mitgenommen werden wollen in diesen Zustand jenseits jeglicher Vorstellung des Egos. Eine der mächtigsten Unwissenheiten, die wir mit uns herumschleppen vor dem Erwachen, ist unsere persönliche Vorstellung vom Erwachen. Denn Erwachen verlässt sämtliche Kategorien des relativen Seins, wie wir sie kennen, und es ist unmöglich sich eine Vorstellung davon zu machen, die auch nur annähernd zutrifft.
R.: Unser Ego, das da erschüttert wird durch eine Transzendenzerfahrung, eine übersinnliche Erfahrung oder durch eine Bewusstseinserweiterung, versucht jetzt mit allen Mitteln wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, baut also diese Erfahrung ein, und die Erweiterung dieses Weltbildes ermöglicht mir dann auf einmal das Phänomen Erwachen zu erklären. Das heißt, ich verstehe aus meinem immer noch begrenzten Ego heraus auf einmal was Erwachen ist. Ich spekuliere da nicht, sondern ich verstehe das. Ich habe das dann eingebaut in mein Weltbild. Das ist sicherlich eine der größten Unwissenheiten, die einem passiert vor dem Erwachen. Das kann sehr hinderlich sein, weil dieser frische, freie, naive, unbedarfte Geist, den wir brauchen für das Erwachen, dann nicht mehr da ist. Denn es findet bei jeder weiteren Erfahrung, die ich mache, sofort eine Aha-Bewertung statt. Aha...
L.: Das Erwachen, von dem ich spreche, transzendiert jegliche Art von Weltbild. Nach dem Erwachen gibt es kein Weltbild mehr. Es ist kein Thema mehr für dich, wenn du erwacht bist. Du hast die gewöhnlichen Kategorien der relativen Welt transzendiert, hinter dir gelassen. Solange Weltbilder da sind, kann man daran rumbasteln, sie erweitern, sich erklären und auch verändern und so weiter. Das Erwachen aber, das dauerhafte Erwachen, zeigt sich in dem Überschreiten, in dem Hinter-sich-lassen jeglicher Weltbilder. Da kommt die Frage nach einem Weltbild gar nicht mehr auf. Das ist nichts mehr, was von Interesse wäre, und selbst das ist nicht richtig gesagt, weil auch das Thema Interesse keine Rolle mehr spielt. Diese Dinge verschwinden. Alles verschwindet.
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