R: Was ist denn dann an dem Ego so schlecht oder an dem spirituellen Ego?

L: Am Ego ist im Grunde genommen nichts schlecht. Es ist nur so, dass uns das, was wir wirklich sind, in unserer Erfahrung und Wahrnehmung abhanden gekommen ist, also das, was vor dem Ego und vor allen Erscheinungen ist und die Basis allen Seins ist. Das ist uns aus der Erfahrung und dem Wissen abhandengekommen. Das, was wir wirklich sind, die Essenz. Die gesamte Schöpfung ist DAS, und da ist ja auch das Ego mit drin. Es ist ja nicht so, dass das Ego außerhalb ist. Es kann nichts außerhalb von DEM sein. Wir haben im Prinzip unsere wahre Natur vergessen, aus Gründen und Umständen, weil die Welt jetzt so ist, wie sie ist und wir uns dieses Konstrukt von Getrenntsein bauen mussten, um uns vermeintlich das Überleben zu sichern und um letztendlich daran zu unserer wahren Natur zu erwachen. Das scheint ein evolutionärer Stand der Entwicklung zu sein, der das so impliziert. Also ist im Grunde genommen am Ego nichts schlecht. Es fehlt jedoch in der Wahrnehmung das, was wir wirklich sind, das, was unendlich ist, was unbegrenzt und ewig ist. Ohne dieses Wissen um unsere wahre Natur denken wir immer, wir müssten uns vor dem Rest der Welt schützen. Wir denken, wir sind getrennt vom Rest, in dieser Welt, müssen uns abgrenzen und schützen und so weiter.

R: Das heißt, wir identifizieren uns mit unserem Ego, statt mit unserer wahren Natur.

L: Genau. Das Wahrnehmen und das wirkliche Wissen über unsere wahre Natur ist uns zu großen Teilen abhandengekommen. Aber wir können das wiederentdecken. Das ist das Erwachen.

R: Das heißt, die wahre Natur kann zwar das Ego sehen und erkennen, aber das Ego kann nicht die wahre Natur kennen.

L: Ja, wenn die wahre Natur in einem Menschen zu sich selbst erwacht, dann verschwindet das Ego, bzw. der Glaube an das Ego-Konstrukt fällt in sich zusammen. Die Identifikation mit der begrenzten Person verschwindet. Wenn wir eine Lücke schaffen in der Verstandestätigkeit, die ja letztendlich den Glauben an das Ego-Konstrukt aufrechterhält, dann können wir durch diese Lücke hindurch zu unserer wahren Natur erwachen. Durch die Frage Wer bin Ich können wir unsere wahre Natur erkennen. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten oder Fragen, die man sich stellen kann, die deinen Verstand ausrutschen lassen und sich damit die Erkenntnis deiner wahren Natur offenbart. Kontemplation und Meditation haben genau das zum Ziel, das wir uns rückbinden an die Erfahrung unserer wahren Natur. In Wirklichkeit sind wir immer verbunden. Es geht gar nicht anders. Wir sind dieses EINE. Wir haben es nur aus der Erfahrung verloren. Rückbindung meint, dass wir es zurück in unsere Erfahrung bringen.

R: Wenn wir uns unserer wahren Natur bewusst werden, ist dann das Ego automatisch zum spirituellen Ego geworden?

L: Nein.

R: Wo findet da die Verwechslung statt? Wie kann das Ego zum spirituellen Ego werden?

L: Die Erfahrung zeigt, dass das Erkennen der wahren Natur eine Integrationszeit braucht, einen Prozess, indem letztendlich jede Zelle deines Selbst erleuchtet wird. Gehst du diesen Prozess nicht weiter und nicht zu Ende, dann bleiben Restteile in dir bestehen, die die Tendenz haben, sich diese tolle Erfahrung zu greifen und sich als einen persönlichen Verdienst anzuheften. Und das ist dann das spirituelle Ego. Kleine oder größere unbewusste Anteile, die noch nicht integriert sind, greifen sich ganz unmerklich diese Erfahrung, blähen sie auf und lassen dich sagen: Ich bin erwacht. Sind aber gar nicht in der Erfahrung der Unbegrenztheit dessen, was sie wirklich sind, sondern sagen das aus diesem begrenzten Anteil heraus, aus einem Verstandeswissen heraus, weil sie etwas davon haben, an Wert, weil vielleicht ein Anteil von Wertlosigkeitsempfinden noch nicht ganz erleuchtet ist, noch nicht ganz von der Wahrheit durchdrungen ist. Und diese Teile machen sich Erwachenserfahrungen gerne zu eigen. Das geschieht oftmals sehr unmerklich.

R: Das heißt, das Ego ist geschickt und denkt: Ah, ich habe jetzt die Unendlichkeit erfahren, und bin jetzt nicht mehr nur ein kleines, begrenztes Ego, sondern jetzt bin ich ein unendliches Ego. Ich bin jetzt mit der Unendlichkeit gesegnet worden. Besser wäre es, in der Erfahrung der Unendlichkeit zu stehen und das Ego, was dann erfahren und gesehen wird, zu leben, aber es nicht mehr allzu ernst zunehmen. Nicht mehr angehaftet zu sein.

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