Es gibt kaum etwas, das unser Leben so sehr durchdringt wie der unaufhörliche Strom an Gedanken. Für viele Menschen ist er eher Last als Geschenk. Das ständige Kreisen im Kopf, die Wiederholung derselben Muster, dieses endlose Geplapper – es kann so wirken, als wären wir Gefangene unseres eigenen Verstandes. Doch wenn man genau hinschaut, offenbart sich darin nicht nur eine Quelle von Anspannung, sondern auch eine Möglichkeit, die wir bisher vielleicht übersehen haben. Denken kann Meditation sein. Und zwar die einfachste Form, die es überhaupt gibt.
Das klingt zunächst paradox. Wir verbinden Meditation mit Stille, mit Leere, mit dem Loslassen von Gedanken. Und doch – wer hat jemals erlebt, dass er keine Gedanken mehr denkt? Selbst wenn du dir vornimmst, an nichts zu denken, wird dir augenblicklich bewusst, dass du genau darüber nachdenkst, an nichts zu denken. Sag jemandem: „Denke jetzt nicht an einen rosa Elefanten.“ Sofort erscheint er vor dem inneren Auge. Es ist unmöglich, das Denken vollständig zu stoppen. Aber genau in dieser scheinbaren Unmöglichkeit liegt der Schlüssel. Denn wenn wir das Denken nicht abstellen können, warum es nicht als Tür in die Tiefe unseres eigenen Bewusstseins nutzen?
Zunächst einmal lohnt es sich, den Gedankenstrom bewusst zu betrachten. Meistens rauschen Gedanken wie Blasen an die Oberfläche, ohne dass wir wissen, woher sie kommen. Plötzlich sind sie da, wirft man einen Blick darauf, scheinen sie aus dem Nichts aufzutauchen. Und genau das ist der Punkt: Jeder Gedanke hat einen Ursprung in den Tiefen des Bewusstseins. Er entsteht wie eine kleine Luftblase am Grund eines Meeres, steigt langsam auf, wird größer und platzt an der Oberfläche – in diesem Moment nehmen wir ihn wahr. Er verschwindet nicht wieder nach unten, er kommt unausweichlich nach oben. So wie ein Taucher, der die Orientierung verloren hat, auf die Richtung der Luftblasen achtet, können wir Gedanken nutzen, um Orientierung zu gewinnen: Sie führen uns immer zurück zum Ursprung.
Viele Gedanken sind Wiederholungen, manchmal sogar bis zu 95 Prozent dessen, was wir Tag für Tag schon gedacht haben. Es sind kleine Hypnosen, die wir uns selbst vorsprechen: „Ich kann das nicht. Ich bin nicht gut genug. Es wird sowieso nicht klappen.“ Wiederholt man das oft genug, glaubt man es schließlich. Unsere Gedanken sind wie unbewusste Mantras, die Realität formen. Sie können uns kleinhalten, aber sie können uns auch zur Selbsterforschung einladen. Denn sobald wir erkennen, welche Muster sich ständig wiederholen, öffnet sich ein Raum, in dem wir frei entscheiden können, ob wir ihnen weiter folgen oder nicht.
Das Denken ist nicht nur Hypnose oder Flucht. Es kann auch Notizzettel sein, ein Instrument, das hilft, Klarheit zu schaffen. Manche Menschen schreiben Dinge auf, andere denken sie durch, um Situationen zu verstehen, um Details zu sehen, die sonst verborgen blieben. In diesem Sinn ist Denken ein Werkzeug, das sowohl im Alltag als auch auf dem spirituellen Weg unersetzlich ist. Wir nutzen es, um zu analysieren, zu unterscheiden, um innere Phänomene einzuordnen. Der Verstand ist in diesem Bereich wertvoll. Und doch dürfen wir ihn nicht verwechseln mit dem, was wir in Wahrheit sind.
Der besondere Nutzen des Denkens offenbart sich, wenn wir es nicht mehr nur funktional gebrauchen, sondern spielerisch in die Tiefe führen. Der Trick ist einfach: Statt Inhalte zu denken, wiederholen wir bewusst ein Wort oder einen Laut, der keinerlei Bedeutung trägt. Ein Laut, der keine Geschichte erzählt, kein Bild erzeugt, keine Erinnerung hervorruft. Der Geist schnappt zwar reflexartig danach, doch da er nichts Greifbares findet, läuft er ins Leere. Und indem wir diesen bedeutungslosen Laut immer wiederholen, führt uns der Geist wie ein Taucher Schritt für Schritt zurück an den Ursprung der Gedanken. Von der Oberfläche hin zu den feinsten Schichten des Bewusstseins, bis wir den Grund erreichen – jenen Raum stillen Gewahrseins, in dem keine Worte und keine Bilder mehr sind.
Das Besondere daran: Wir müssen nichts Neues lernen, nichts Künstliches tun. Wir nutzen einfach die Fähigkeit, die wir alle ohnehin permanent gebrauchen – Denken. Es gibt keine Tätigkeit, die uns leichter fällt als das Denken. Wir tun es ununterbrochen, und deshalb ist es so naheliegend, diesen Prozess in die Tiefe zu wenden. Meditation wird so nicht zu einer komplizierten Technik, die viel Disziplin oder eine besondere Haltung erfordert. Sie wird zu einem natürlichen Spiel: Augen schließen, einen bedeutungslosen Laut denken, ihn immer wieder wiederholen und den Geist seiner Spur folgen lassen. Je feiner er wird, desto näher kommen wir der Stille.
Viele Menschen glauben, sie könnten nicht meditieren. Sie sagen, sie seien zu unruhig, zu zappelig, sie könnten nicht einfach sitzen und nichts tun. Doch hier liegt der Irrtum: Niemand verlangt, dass wir nichts tun. Meditation bedeutet nicht, das Denken auszuschalten. Meditation bedeutet, es bewusst zu nutzen, bis es uns in die Stille führt. So verwandelt sich der Gedankenstrom, der uns sonst oft belastet, in ein Tor zur Freiheit.
Wenn ein Gedanke schließlich so fein geworden ist, dass er kaum noch spürbar ist, fast wie ein Hauch, dann geschieht etwas Erstaunliches: Wir transzendieren. Der Gedanke löst sich auf, und wir ruhen für einen Moment im reinen Bewusstsein selbst. Dort, wo nichts mehr gedacht werden muss, weil wir bereits in dem sind, was immer schon da ist. Diese Erfahrung ist keine Flucht, kein künstlicher Zustand. Sie ist das einfachste und gleichzeitig tiefste Geschenk, das das Denken uns machen kann.
Darum ist Denken die einfachste Meditation der Welt. Nicht, weil es uns von Gedanken befreit, sondern weil es uns zeigt, dass Gedanken selbst eine Tür sind, wenn wir sie richtig nutzen. Wer das einmal ausprobiert, entdeckt vielleicht, dass hinter dem scheinbar unaufhörlichen Rauschen des Geistes ein Raum liegt, still und weit, der schon immer da war. Und es braucht nichts weiter, als ihn zu betreten – mit einem einzigen Gedanken, der ins Leere weist.
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