Viele Menschen erleben Schmerz – körperlich, emotional, existenziell. Und oft stellen sie sich die Frage: Ist das einfach nur Pech? Ein sinnloses Leid? Oder steckt da vielleicht mehr dahinter? In einem offenen Gespräch wurde deutlich, wie eng Schmerz, Erwachen und Wahrheit miteinander verwoben sein können – ohne dass man dies romantisieren oder glorifizieren muss.
Schmerz ist weder automatisch ein Hindernis noch garantiert er Wachstum. Und genau darin liegt eine tiefe, oft übersehene Wahrheit. Nicht jeder, der leidet, wird dadurch wach. Und nicht jeder, der erwacht, hat gelitten. Es ist kein Automatismus. Schmerz allein erlöst nicht. Aber er kann ein Tor sein, wenn man bereit ist, es als solches zu betrachten.
Der Schlüssel liegt in der inneren Haltung. Wer sich vollkommen mit dem Leid identifiziert, ertrinkt darin. Wer sich jedoch – vielleicht durch einen äußeren Hinweis oder einen inneren Impuls – öffnet für die Möglichkeit, dass etwas in einem selbst damit zu tun hat, kann beginnen, das Leid in eine Frage zu verwandeln: Was will mir das zeigen?
Das mag unbequem sein. Die Idee, dass man selbst – zumindest auf einer tieferen Ebene – beteiligt ist, erzeugt oft Widerstand oder Schuldgefühle. Doch wenn diese erste Reaktion überwunden ist, zeigt sich etwas anderes: Eine stille Freiheit. Eine neue Möglichkeit, sich dem eigenen Sein anders zuzuwenden.
Denn für das Erwachen ist der Zustand des Körpers, der Gesundheit oder der Schmerz nicht entscheidend. Erwachen ist kein Ziel, das nur erreicht wird, wenn alles "geheilt" oder "perfekt" ist. Ganzheit ist kein Zustand der makellosen Oberfläche. Sie ist eine innere Qualität, die unabhängig vom äußeren Zustand existieren kann.
Viele Menschen haben jenseits von Krankheit oder Schmerz kurze Einblicke in diese andere Wirklichkeit – beim Gehen, beim Sitzen im Park, beim Beobachten des Himmels. Diese Momente sind nicht spektakulär, aber sie erschüttern für einen Augenblick die Alltäglichkeit. Etwas rutscht zur Seite. Es öffnet sich ein Spalt. Und genau dort beginnt oft der spirituelle Weg.
Natürlich kann auch tiefer Schmerz ein solcher Spalt sein. Ein Rückenleiden, das einen zum Liegen zwingt. Eine Blockade, die jede Bewegung verlangsamt. Und plötzlich ist man in einer anderen Zeit. In einem anderen Raum. Das Ego verliert an Kontrolle. Es kann nichts mehr erzwingen, nichts mehr leisten. Und in diesem Kontrollverlust kann sich etwas zeigen, das vorher verborgen war: Eine stille Gegenwart, ein Raum hinter dem Schmerz.
Das bedeutet nicht, dass Schmerz gesucht werden muss. Im Gegenteil: Warum nicht auch den Weg der Freude gehen? Auch das Lächeln, das Staunen, die Liebe können zum Erwachen führen. Doch wenn der Schmerz nun einmal da ist – was spricht dagegen, sich nicht von ihm zu trennen? Was spricht dagegen, zu fragen, was in mir da gerade wirkt, was in mir manifest werden will?
In diesem Licht gesehen wird der Schmerz nicht zum Feind, sondern zur Initiation. Er wird zum Spiegel. Und manchmal sogar zum Lehrer. Nicht in einem belehrenden Sinne, sondern als stiller Begleiter, der einen zwingt, langsamer zu werden, genauer hinzuschauen, loszulassen.
Hingabe ist dabei zentral. Nicht nur an das Schöne, sondern auch an das Unangenehme. Sich dem zu ergeben, was ist – nicht aus Resignation, sondern aus radikaler Offenheit. Wer aufhört, sich mit dem Ego zu wehren, der entdeckt oft eine Kraft, die viel größer ist als jede persönliche Willensanstrengung.
Das Gespräch erinnerte auch daran, wie stark das Erleben durch bewusstseinserweiternde Erfahrungen – sei es durch Meditation oder schamanische Rituale – beeinflusst werden kann. Doch selbst intensive Rauscherfahrungen sind kein Ersatz für das stille Erkennen im Alltag. Ein künstlich erzeugter Zustand vergeht. Das wirkliche Sehen aber bleibt. Es hinterlässt etwas. Es verändert das Weltbild. Und manchmal genügt ein einziger „Millimeter“ Verschiebung der Wahrnehmung, um zu spüren: Da ist noch etwas anderes. Etwas, das nicht mehr wegzudenken ist. Etwas, das von da an in allem mitschwingt.
Schmerz kann also der Feinschliff des Egos sein. Er kann zeigen, wie wenig das Ego tatsächlich bewirken kann. Er kann offenlegen, dass es Kräfte gibt, die tiefer reichen, jenseits von Kontrolle und Wollen. Und gerade dadurch kann er Raum schaffen für Reife, für Genügsamkeit, für echtes Sein.
Am Ende ist es nicht der Schmerz selbst, der zur Wahrheit führt. Es ist die Haltung, die wir ihm gegenüber einnehmen. Und diese Haltung kann sich jederzeit ändern. In jedem Moment. Es gibt keine Garantie. Keine Anleitung. Nur die Einladung: Schau hin. Sei ehrlich. Und bleib offen.
Und vielleicht ist das das größte Geschenk des Schmerzes – dass er uns, wenn wir nicht wegrennen, direkt in den gegenwärtigen Moment bringt. Genau dort, wo die Wahrheit wartet.
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